Bist du im Reinen mit den Eltern, wenn sie sich endgültig verabschieden?

Dieses schwierige Thema haben wir im letzten LiveCall #Kriegsenkel behandelt. Mitten in diesem schönen Sommer so ein Thema, fragst du dich vielleicht? Aber gibt es für den Tod der Eltern ein "richtiges" Datum? Ich glaube nicht. Denn selbst, wenn man sich schon vor Jahren von ihnen verabschiedet hat, weil alle Gespräch darüber, was man im Elternhaus vermisst hat, ins Leere liefen, sterben sie immer plötzlich. Für viele Kriegsenkel:innen heißt es dann häufig, ein zweites Mal Abschied zu nehmen.

Bist du im Reinen mit deinen Eltern?

Im LiveCall wurde schnell klar, worauf diese Frage abzielt. Denn auch der Tod der Eltern ist für Kriegsenkel:innen ein besonderes Thema, weil sich die Beziehung zwischen den Kriegskinder-Eltern (Jahrgänge 1928-1946) und ihren Nachkommen, den Kriegsenkel:innen, häufig so schwierig gestalten. Bist du im Reinen mit deinen Eltern, wenn sie sich verabschieden? zielt genau auf diese schwierige Beziehung ab, in der die Kriegsenkel nie einfach nur Kinder waren, sondern vielfach Eltern für ihre Eltern. In dieser Beziehung wurden sie mit ihren Bedürfnissen und Interessen oft nicht gesehen. Im Vordergrund standen die von den Auswirkungen des Nationalsozialismus (Verfolgung, Krieg, Flucht etc.) traumatisierten Eltern. Klärende Gespräche waren vielfach nicht möglich, so ist vieles offen geblieben und nicht besprechbar gewesen. Deshalb haben sich viele Kriegsenkel:innen schon vor Jahren innerlich von ihren Eltern losgesagt haben. Dennoch sind viele erstaunt, wie stark der endgültige Abschied - der Tod der Eltern - die wohlgeordneten Gefühle aus der Balance bringt und sie ihre Gefühle völlig neu sortieren müssen.

Was also tun, wenn man noch nicht im Reinen ist, wenn man eigentlich noch etwas loswerden wollte und ein letztes klärendes Gespräch bräuchte? Was also tun, wenn man mit ihnen hadert, obwohl man sich doch schon vor Jahren von ihnen innerlich verabschiedet hat?

Wie gestaltet man den 2. Abschied?

Darüber haben wir im letzten LiveCall#Kriegsenkel:innen gesprochen. Dazu eingeladen habe ich Frau Dr. Christiane Schilling, eine Expertin in Bezug auf Themen rund um das Lebensende. Sie geht in Fortbildungen und in individuellen Beratungsgesprächen (Coaching) mit Fragen aus der palliativen Geriatrie, Betreuung von Demenzkranken und Fragen zu Abschied und Trauer um. Gleich zu Anfang stellte sie klar:
"Will dir jemand sagen, wie man sich "richtig" verabschiedet, darfst du ihn freundlich zurückweisen!

Beim Abschiednehmen gibt es kein richtig oder falsch!

Um trauern zu können, brauchen Menschen Sicherheit, fährt Christiane Schilling fort. Wenn Menschen trauern, sind sie hochgradig verletzlich und brauchen einen sicheren Boden. Oft fängt die Trauer erst viel später an, wenn der nötige Schutz da ist. Das mag für andere seltsam sein: „Warum trauert er erst jetzt, wo doch alles so schön ist?“ Das entlastet viele von ihren Scham- und Schuldgefühlen, nicht zur "richtigen" Zeit oder gar nicht trauern zu können. Und noch etwas entlastet und bringt fast ein bisschen Heiterkeit auf bei diesem schweren Thema:

„Jedem Ende wohnt ein Zauber inne“

Geschickt dreht Christiane Schilling diesen Satz aus dem Gedicht von H. Hesse einfach um. Und nun passt er auch auf das schwierige Verhältnis zwischen den Kriegsenkel:innen und ihren Eltern. Beim Abschied gibt es immer verschiedene Gefühle, nicht nur eins und nicht nur eindeutig traurige! Nein, auch Glücksgefühle können dabei sein! Beides können wir parallel erleben. Weil etwas endlich vorbei ist! Und weil etwas Neues anfängt!

Wenn wir alle Gefühle zulassen, dann wird das Abschiednehmen leichter. Dann sind wir nicht mehr nur mit den normativen Vorstellungen von Trauern beschäftigt sind, in denen Menschen mit ambivalenten Gefühlen nicht vorkommen.

Im LiveCall habe ich angeregt, zunächst sich selbst ganz radikal in den Blick zu nehmen und um sich selbst zu trauern. Schließlich endet hier die Kindheit.
Manchmal kann es auch tröstend sein, sich zu fragen, welche Eltern man in welchem Alter hatte? - Waren sie immer die Eltern, die dich nicht gesehen haben? Oder gab es Phasen in deinem Leben, in denen sie dir sehr zugewandt waren?

Bist du im Reinen mit deinen Eltern, wenn sie sich endgültig verabschieden? Dieses Thema werden wir im Herbst erneut im LiveCall aufgreifen: Was passiert unter den Geschwistern, wenn die Eltern gehen?

Möchtest du mehr zum Thema Kriegsenkel:in erfahren und dich mit anderen austauschen?

Alle zwei Wochen - immer mittwochs, 19:30 - 20:30 Uhr - findet auf ZOOM der LiveCall #Kriegsenkel:in zu einem Thema statt, das Kriegsenkel:innen bewegt. Wenn du dabei sein willst, dann melde dich einfach hier an: mailto@meyer-legrand.eu und du bekommst umgehend den ZOOM-Link.

Der nächste LiveCall#Kriegsenkel:in findet am 30.6.2021, 19:30 - 20:30 Uhr, statt. Hier beschäftigen wir uns auch mit dem Thema: Abschied und Neubeginn. Das erste Halbjahr ist vorbei. Wir schauen zurück und fragen uns, was darf gehen und was darf bleiben und räumen auf mit dem Mythos, dass Veränderung Spaß macht!

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