Warum wir unseren Eltern nichts schulden (2.Teil)
Wie kann ich mich von Eltern verabschieden, die ich nie gehabt habe?
Denn Kriegsenkel haben ein ganz besonderes Verhältnis zu ihren (Kriegskinder-) Eltern, die als Kinder den NS, die Verfolgung, den Krieg und Flucht und Vertreibung leidvoll erlebt haben. Für dieses Leid von ihnen gab es in der Nachkriegsgesellschaft keine Hilfe. Ihr Leid wurde ins Private abgeschoben und ihre eigenen Kinder - die Kriegsenkel - waren später dafür zuständig. Vor diesem Hintergrund konnten sie ihren Kindern, häufig keine guten Eltern sein und oftmals kam es zu einer regelrechten Rollenumkehr: Die Kinder, also die Kriegsenkel, wurden zu Eltern ihrer (Kriegskinder-)Eltern.
Kriegsenkel - Kinder wurden zu Eltern ihrer Eltern
In diesem Prozess werden die Kinder in Verpflichtungen eingebunden - etwa in den Rollen von Vermittlern zwischen Vater und Mutter, als Trösterin, als der "Sonnenschein" der Familie etc. Es sind Verpflichtungen und Rollen, die sie weder selbst gewählt haben, noch konnten sie sie einfach ablegen. Diese Haltung prägt die Eltern-Kind-Beziehung der Kriegsenkel häufig bis heute und nicht selten heißt es:
Ich habe mein ganzes Leben für meine Mutter und meinen Vater geopfert.
Wer es einigermaßen geschafft hat, sich aus dieser Beziehung zu lösen, befindet sich spätestens dann erneut in heftigen, von Schuldgefühlen durchsetzten Auseinandersetzungen, wenn die Frage auftaucht:
Wer kümmert sich um meine pflegebedürftigen und dahinscheidenden Eltern?
Warum kommen aber Schuldgefühle auf? Kinder schulden doch ihren Eltern grundsätzlich nichts, wie ich im letzten LiveCall#Kriegsenkel ausgeführt habe. Schuldgefühle kommen auf, weil Kinder zumeist ungefragt in elterliche Erwartungen hineinwachsen. Es sind Erwartungen, für die sie sich nie frei entscheiden konnten. Diese dürfen sie daher selbstverständlich zurückweisen. Denn:
In erster Linie sind Kinder ihrer eigenen Entwicklung verpflichtet.
Kriegsenkel, die selbst Eltern sind, machen es gegenüber ihren eigenen Kindern bereits anders. Sie erwarten keineswegs, von ihnen einmal gepflegt zu werden oder dergleichen. Sie sind glücklich, wenn ihre Kinder in ihrem eigenen Leben zurechtkommen. Denn Kriegsenkel versuchen auch "im Alter" neue Wege zu gehen: Alters-Wohngemeinschaften zum Beispiel sind echte Erfindungen der Jahrgänge der Kriegsenkel!
Im LiveCall#Kriegsenkel, am 10.7.19, um 18.30 - 19.30 Uhr werden wir uns fragen, wie es gelingen kann, sich endlich um das eigene Leben und in adäquater Weise um die Bedürfnisse der zu pflegenden Eltern zu kümmern. In diesem Zusammenhang wird uns ganz besonders interessieren, was es heißt, sich endlich als Tochter und Sohn den Eltern gegenüber zu verhalten.
Ich freue mich auf Dich!
Herzliche Grüße
Ingrid Meyer-Legrand